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Interview mit Herbert Müller (Thüringer HC): "Titel sind keine Pflicht"

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Herbert MüllerFoto: Eibner-Pressefoto
08.04.2013 - 14:27 Uhr

Der Thüringer HC hat die Hauptrunde als Tabellenerster abgeschlossen und geht als Favorit in die Endrunde. Handball.de Mitarbeiter Oliver Jensen sprach mit THC-Trainer Herbert Müller (50) über das bevorstehende Spiel gegen die HSG Blomberg-Lippe, den Stellenwert des Frauen-Handballs und über die Deutsche Nationalmannschaft. 

Handball.de: Herr Müller, Glückwunsch zum ersten Tabellenplatz. Wie fällt Ihr Fazit nach der Hauptrunde aus? 
Müller: “Der Hauptrundensieg ist eine Bestätigung für die geleistete Arbeit dieser Saison. Besonders mit der Art und Weise, wie wir seit Januar aufgetreten sind, bin ich zufrieden. Wir haben die Top-Mannschaften in der Bundesliga relativ klar besiegt. Übrigens bin ich ein Verfechter davon, dass nach der Hin- und Rückrunde der Meister gekürt wird.” 

Handball.de: Weil Sie dann bereits jetzt zum dritten Mal in Folge Deutscher Meister wären? 
Müller: “Nein, weil es sportlich fair wäre. Über eine gesamte Saison gleicht sich alles aus, zum Beispiel Verletzungen und Formkrisen. Jeder andere Modus sind nur Funktionärs-Machenschaften, die ich als Sportler nicht mittragen kann. Es scheint nur darum zu gehen, dass sich die Bundesliga mit einer Endrunde besser vermarkten lässt. Ich habe das schon häufig kritisiert." 

Handball.de: Wie bereits in den vergangenen beiden Jahren treffen Sie auch diesmal im Viertelfinale auf die HSG Blomberg-Lippe. Das klingt nach einer machbaren Aufgabe. 
Müller: “Nun geht alles wieder von vorne los. Was in dieser Saison gewesen ist, spielt keine Rolle mehr. Dass wir in der Hauptrunde 23 Punkte mehr als Blomberg gesammelt haben, interessiert niemanden. Wir gehen als Favorit in dieses Duell, aber Blomberg wird um ihre Chance kämpfen. Wir müssen konzentriert sein.” 

Handball.de: Wen sehen Sie als Favoriten auf die Deutsche Meisterschaft? 
Müller: “Mit dem Thüringer HC, Leipzig und Buxtehude sind die üblichen Verdächtigen zu nennen. Aber auch Mannschafen wie Oldenburg und Leverkusen können in einzelnen Spielen für Überraschungen sorgen. Der DHB-Pokalsieg von Oldenburg ist der beste Beweis. In der Endrunde spielt die Tagesform eine große Rolle.” 

Herbert Müller in einer Auszeit mit den Spielerinnen vom Thüringer HCZoom
Herbert Müller in einer Auszeit mit den Spielerinnen vom Thüringer HCFoto: Eibner-Pressefoto

Handball.de: Ihr Verein hat in der Meisterschaft, im Pokalwettbewerb und im Europapokal der Pokalsieger Titelchancen. Ist das Triple nun das Ziel? 
Müller: “Nein. Unsere Mannschaft steht nicht in der Pflicht, Titel zu gewinnen. Trotzdem werden wir natürlich um unsere Chance kämpfen. “ 

Handball.de: Im Europapokal treffen Sie auf andere europäische Spitzenvereine. Wie sehen Sie die deutsche Liga im Vergleich zu den ausländischen Ligen? 
Müller: “Im EHF-Cup und Pokal der Pokalsieger kann die Bundesliga gut mithalten. In der Champions League können Bundesligisten zwar ebenfalls ordentlich mitspielen, haben aber keine Titelchance. Einige ausländische Spitzenmannschaften, wie zum Beispiel Narvik in Norwegen oder Gyori in Ungarn, sind den deutschen Top-Mannschaften überlegen.” 

Handball.de: Also ist unsere Liga nicht konkurrenzfähig? 
Müller: “Die Bundesliga bezieht ihren Reiz aus der Ausgeglichenheit. Es gibt sieben oder acht Mannschaften, gegen die man sehr konzentriert zu Werke gehen muss. Daher muss sich unsere Liga vor anderen Ligen nicht verstecken.” 

Handball.de: Als Sie den Thüringer HC im Sommer 2010 übernahmen, blickte der Verein auf eine Saison mit Tabellenplatz 8 und dem Aus im Viertelfinale zurück. In den folgenden beiden Spielzeiten gelangen zwei Meistertitel und ein Pokalsieg. Wie haben Sie innerhalb kürzester Zeit aus einer Durchschnittsmannschaft eine Spitzenmannschaft gemacht? 
Müller: “Wir haben einen absoluten Neuanfang getätigt, um die Mannschaft neu zu formen. Wir brauchten Spielerinnen, die wissen, wie man vorneweg marschiert und Titel gewinnt. Das hat gut funktioniert. Der Glaube, dass wir als kleines Land Thüringen Erfolg haben können, wurde geweckt. Wir sind praktisch seit der Deutschen Wende die erste Mannschaft unseres Bundeslandes, die eine Deutsche Meisterschaft gewann.” 

Handball.de: Mittlerweile ist der Thüringer HC in ganz Deutschland als Spitzenverein bekannt.  
Müller: “Es war nicht abzusehen, dass wir in den ersten beiden Jahren drei Titel gewinnen. Wir sehen uns noch immer in der Entwicklung. Wir versuchen, neue Strukturen hineinzubringen, die Jugendarbeit zu optimieren und den Verein insgesamt nach vorne zu bringen. Außerdem müssen wir lernen, eines Tages auch durch schwierige Zeiten zu gehen. Wir werden nicht jedes Jahr Titel gewinnen.” 

Handball.de: Sie sind nicht nur Trainer vom Thüringer HC, sondern auch von der Österreichischen Nationalmannschaft. Wie schwer ist die Doppelbelastung für Sie? 
Müller: “Überhaupt nicht schwierig. Beide Jobs profitieren voneinander. Auf der einen Seite spielen Österreicherinnen eine tragende Rolle im Verein, auf der anderen Seite kann ich für den Verein Kontakte bei der Nationalmannschaft und bei Länderspielen knüpfen.” 

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Herbert MüllerFoto: Eibner-Pressefoto

Handball.de: Im Schnitt kommen 1.048 Zuschauer zu einem Spiel in der Frauen-Bundesliga. Bei den Männern liegt der Schnitt viermal höher. Stört es Sie, im Schatten der Herren-Bundesliga zu stehen? 
Müller: “Überhaupt nicht. Dass die Männer eine größere Zuschauerresonanz haben, ist für uns ein Ansporn. Ich sehe keine Konkurrenzsituation. Schließlich üben wir die gleiche Sportart aus. Wir müssen das Produkt Damen-Handball einfach weiterentwickeln.” 

Handball.de: Stellen Sie bereits eine positive Entwicklung fest? 
Müller: “Definitiv. Die Qualität des Handballs und die Athletik haben sich enorm verbessert. Frauen arbeiten sehr professionell, sind sogar belastungsfähiger als Männer.” 

Handball.de: In welchen Punkten sind Frauen belastungsfähiger? 
Müller: “Ganz allgemein. Daher kriegen Frauen auch die Babys. Würden Männer Kinder bekommen, wäre die Menschheit längst ausgestorben.” 

Handball.de: Was muss denn passieren, damit der Frauen-Handball weiterhin an Popularität gewinnt? 
Müller: “Die Nationalmannschaft muss als Aushängeschild vorneweg marschieren. Ich traue ihr zu, bei jedem Großereignis um Medaillen mitzuspielen. Von der Struktur und der Leistungsfähigkeit muss sich die Nationalmannschaft vor niemandem verstecken." 

Handball.de: Kann der Frauen-Handball vielleicht hauptsächlich in Städten populär werden, wo ansonsten nur wenig Profisport geboten wird? Bei Ihrem ehemaligen Verein 1. FC Nürnberg gab es im Umfeld einen Fußballverein und Eishockeyverein, die für Zuschauer und Sponsoren interessanter waren. Im Umfeld des Thüringer HC gibt es nur den Handball. 
Müller: "Richtig, und das ist ein großer Vorteil. Der Handball hat in Bad Langensalza (Heimat des THC, d. Red.) eine ganz andere Bedeutung, die ganze Politik steht hinter uns. Ich bin glücklich, dass Handball bei uns die Sportart Nummer 1 ist." 

Autor: Oliver Jensen
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