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Das Nachwuchsproblem des THW Kiel

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Alfred Gislason und das Team vom THW KielFoto: Eibner-Pressefoto
11.02.2013 - 15:51 Uhr

Der THW Kiel ist seit Jahren die Übermacht im deutschen Handball. Nur in der Nachwuchsarbeit hat der Verein mit schwierigen Bedingungen zu kämpfen. 

17 Deutsche Meisterschaften machen die Zebras zum Rekordmeister. Mit einem Jahresbudget von rund 9,5 Millionen Euro handelt es sich um den reichsten Verein Deutschlands. Jedes Heimspiel in der 10.250 Zuschauer fassenden Sparkassen-Arena ist ausverkauft. Ein Sorgenkind gibt es trotzdem: Die Nachwuchsarbeit. Heiner Brand, Sportdirektor vom Deutschen Handballbund (DHB), kritisierte bereits vergangenes Jahr, dass der THW seit mehr als zehn Jahren keinen Nationalspieler hervorgebracht hat. 

THW Kiel Trainer Alfred Gislason kann die kritischen Worte nicht nachvollziehen. “Es ist einfach, immer auf den THW einzudreschen”, sagt der 53-Jährige. Vor fünf Jahren hat der Verein, nicht zuletzt wegen der Einführung des Jugendzertifikats, das Projekt Nachwuchsleistungshandball intensiviert. Auf die ersten Erfolge ist der Verein stolz: Die U-19 spielt in der A-Jugend Bundesliga eine ordentliche Rolle. Die U-17 hat sogar das Final-4 um die deutsche Meisterschaft erreicht. “Merkwürdig fand ich, dass kein Trainer vom DHB, der für die B-Jahrgänge verantwortlich ist, sich das Final 4 angesehen hat”, sagt Gislason. Die Zusammenarbeit mit dem Verband stellt ihn nicht zufrieden. Besonders die Sichtung, die laut seiner Aussage hauptsächlich im Südwesten von Deutschland stattfindet (der DHB hat seinen Sitz in Dortmund), sei ausbaufähig. 

Ist die Liga zu stark, ist der Nachwuchs zu schwach

Gute Stimmung im Team des THW KielZoom
Gute Stimmung im Team des THW KielFoto: Eibner-Pressefoto

Die Nachwuchsarbeit in Deutschland ist ein viel diskutiertes Thema. Einerseits ist es toll, mit der Bundesliga die vermutlich stärkste Liga der Welt zu haben. Andererseits kommen dadurch die weltbesten Athleten nach Deutschland und verdrängen die einheimischen Kollegen. “Spieler, die aus der Jugend kommen, sind gestandenen Bundesligaspielern körperlich deutlich unterlegen”, sagt Gislason aus Erfahrung. Für viele Nachwuchsprofis sei die erste Trainingseinheit ein Schock - ganz besonders für Rückraumspieler. “Bei Außenspielern fällt die Athletik etwas weniger ins Gewicht”, räumt Gislason ein. 

Krafttraining und Handball - früher schien das nicht zusammenzupassen. “Teilweise wurde Krafttraining verboten, weil das angeblich der Technik hinderlich war”, sagt Gislason kopfschüttelnd. All das müsse später wieder mit unzähligen Einheiten im Fitness-Studio aufgeholt werden. Und dafür fehlt oftmals die Zeit. “Die meisten Lehrgänge und Turniere mit den Nachwuchsnationalmannschaften finden im Sommer statt. Genau in der Zeit, in der wir beim Verein die Saisonvorbereitung absolvieren und mit den Nachwuchsspielern konzentriert arbeiten könnten“, erklärt der THW Trainer. Ein weiteres Problem: Viele junge Handballer absolvieren neben dem Handball eine Berufsausbildung. Dadurch fehlen sie beim Krafttraining, das bei den meisten Vereinen am Vormittag angesetzt wird. “Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass junge Menschen sich mit einer Berufsausbildung absichern möchten“, stellt Gislason klar. Aber dadurch fehle eben die Zeit. Kein Deutscher würde als 18-Jähriger die Schule abbrechen, ins Ausland gehen und voll auf die Karte Handball setzen. Der isländische Aron Palmarsson, der mittlerweile zu den besten Jungprofis der Welt zählt, hat das getan. 

Keine optimalen Trainingsbedingungen beim THW Kiel

Raul Alonso und Alfred GislasonZoom
Raul Alonso und Alfred GislasonFoto: Eibner-Pressefoto

Eine nicht ausreichende körperliche Entwicklung, Terminprobleme, Ablenkung durch den Beruf - mit diesen Problemen haben alle Bundesligisten zu kämpfen. Doch der THW Kiel hat noch einige Schwierigkeiten mehr. Wer glaubt, dass der Rekordmeister seinem Nachwuchs die besten Trainingsbedingungen bieten kann, irrt gewaltig. “In dieser Hinsicht bewegen wir uns im unteren Drittel der Liga”, sagt Gislason. Raul Alonso (34), der Leiter des THW-Nachwuchsleistungshandballs, ergänzt: “Wir arbeiten mit den regionalen Talenten, da wir bisher, trotz zahlreichen Anfragen aus der gesamten Bundesrepublik und sogar aus ganz Europa, keinerlei Möglichkeiten haben, Spieler unterzubringen. Internats-Strukturen und Kooperationsmöglichkeiten mit Olympiastützpunkten wie bei anderen Bundesligisten sind bei uns nicht vorhanden.“ Das heißt: Die größten Talente aus dem Inn- und Ausland landen bei anderen Vereinen, weil der THW ihnen keine Unterkunft bieten kann. Ein Internat selbst zu finanzieren, wäre für einen Handballverein utopisch. Immerhin gibt es bereits Überlegungen, vereinzelt Spieler in Gastfamilien unterzubringen. Es würde die Situation des THW etwas verbessern. 

Alle Probleme wären damit noch längst nicht gelöst. Auch die Hallensituation gestaltet sich schwierig. Die Stadt kann oder will dem THW-Nachwuchs keine eigene Übungsstätte zur Verfügung stellen. Daher müssen sich die jungen Handballer die Halle mit anderen Vereinen teilen. Manchmal steht nur ein halber Platz zur Verfügung, manchmal ist die Halle sogar komplett dicht. Und möchten die Spieler in den Kraftraum oder zum Physiotherapeuten, müssen sie erst einmal durch die halbe Stadt fahren. Gerne denkt Alfred Gislason daran zurück, unter welchen Bedingungen der Nachwuchs seines ehemaligen Vereins SC Magdeburg trainieren konnte. Die Sporthalle stand jederzeit zur Verfügung, Kraftraum und Physioabteilung waren direkt vor Ort. 

Mit der Nachwuchsarbeit im Soll 

Aufgrund der schwierigen Bedingungen geht es dem THW Kiel nicht zwingend darum, den Superstar von morgen auszubilden. „Das Ziel unserer Nachwuchsarbeit ist es, junge Menschen für den Handball zu begeistern“, erklärt Alonso. „Daher haben wir sogar eine Ballgruppe für Kleinkinder. Wenn dann jemand irgendwann in der 2. Liga spielt, damit sein Studium finanziert und später vielleicht als Jugendtrainer seine Erfahrung weitergibt, ist das ein großer Erfolg.“ Mit der bisherigen Entwicklung zeigt er sich zufrieden: „Unsere U23-Teams spielt seit Jahren entweder in der 3. Liga oder im oberen Bereich der Oberliga. Wir haben derzeit sieben Spieler beim Kooperationsverein TSV Altenholz, die in Kiel ausgebildet wurden, im oberen Bereich der 3. Liga eine gute Rolle spielen und sich zu Leistungsträgern entwickeln. Keine schlechte Ausbeute für die kurze Zeit.“ Die Nachwuchsarbeit des THW wird eben aus verschiedenen Blickwinkeln betracht. 

Autor: Oliver Jensen
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