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Stefan Kretzschmar: “Unsere Nationalmannschaft geht nicht durch dick und dünn” (Teil 2 des Interviews)

Stefan Kretzschmar mit Moderatorin Anett Sattler von SPORT1Zoom
Stefan Kretzschmar mit Moderatorin Anett Sattler von SPORT1Foto: SPORT1
18.07.2012 - 11:03 Uhr

Im zweiten Teil unseres Interviews spricht Stefan Kretzschmar über die Nationalmannschaft, den engen Spielplan und sein Herzensprojekt den SC DHfK Leipzig (Erster Teil des Interviews: "In unserem Sport schießt Geld Tore"). 

Handball.de: Herr Kretzschmar, wir haben die vermutlich stärkste Liga der Welt. Warum haben wir nicht eine der stärksten Nationalmannschaften der Welt?
Kretzschmar: Von der individuellen Stärke halte ich unsere Mannschaft mit dem Weltniveau für ebenbürtig. Wenn alle Spieler die gleiche Leistung wie in der Bundesliga oder der Champions League abrufen, sind wir immer ein Medaillenkandidat. Die Europameisterschaft hat das gezeigt: Hätten wir das Spiel gegen Polen oder Dänemark gewonnen, wären wir im Halbfinale gewesen. 

Handball.de: Woran fehlt es, um solche entscheidenden Spiele zu gewinnen?
Kretzschmar: Das spielerische Niveau der europäischen Nationalmannschaften ist nahe beieinander. In den entscheidenden Situationen hatten wir Pech. Uns fehlt eventuell ein genialer Spielmacher auf der Mitte. Mit Michael Haaß haben wir einen tollen Anführer. Aber er ist niemand, der ein Spiel intuitiv liest und Genieansätze hat, sondern vielmehr ein solider Arbeiter.

Handball.de: Wie sieht es am Kreis aus?
Kretzschmar: Mit Evgeni Pevnov, Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek haben wir einige Spieler, die Weltniveau erlangen können. Und dann traue ich unserer Nationalmannschaft einiges zu. Vielleicht können wir bereits in Spanien ein richtig gutes Ergebnis erzielen.

"Kretzsche" mit SPORT1-Moderator Markus GötzZoom
"Kretzsche" mit SPORT1-Moderator Markus GötzFoto: SPORT1

Handball.de: Woran fehlt es der Mannschaft sonst noch?
Kretzschmar: Ich habe manchmal das Gefühl, dass manche Spieler nicht bereit sind, für den anderen durchs Feuer zu gehen. Mir sind zu viele Egoismen vorhanden. Es ist keine Mannschaft, die gemeinsam durch dick und dünn geht und bei einem Großturnier alles in die Waagschale wirft. Gegenüber der Presse wird das zwar oft behauptet. Aber zu einer echten Mannschaft gehört mehr. Die Spieler sollten sich auch außerhalb des Spielfeldes miteinander beschäftigen. Nur so lässt sich eine Mannschaft formen. 

Handball.de: Und das tun unsere Athleten nicht?
Kretzschmar: Ich persönlich habe das Gefühl, jeder macht sein eigenes Ding und man trifft sich erst auf dem Spielfeld. Das ist zu wenig. In der Bundesliga haben sie brillante Mitspieler, die ein Spiel lesen und sie in Szene setzen können. Genau das fehlt in der Nationalmannschaft. Also müssen wir über das Zusammenspiel kommen. Ich glaube, dass Martin Heuberger das verstanden hat. Nur die Spieler vielleicht noch nicht. 

Handball.de: Was denken Sie über etablierte Spieler wie Pascal Hens und Christian Sprenger, die aus der Nationalmannschaft zurückgetreten sind?
Kretzschmar: Natürlich muss jeder auf seinen Körper achten. Wenn Pascal Hens sagt, die Doppelbelastung sei zu groß, ist das seine Sache. Ich persönlich allerdings wäre nie auf die Idee gekommen, ein oder zwei Jahre Pause zu machen. Das ist die Nationalmannschaft! Bin ich eingeladen worden, war es für mich eine Selbstverständlichkeit, dort hinzufahren. Mir hat es auch Spaß gemacht. Es war eine schöne Ablenkung zum Alltag im Verein. Auch weil ich viele Freunde in der Nationalmannschaft hatte. 

Handball.de: Stichwort Belastung. Müssen sich vielleicht auch die Verbände hinterfragen, ob jedes Jahr eine Europa- bzw. Weltmeisterschaft stattfinden muss?
Kretzschmar: Einerseits ist es wichtig, dass unser Sport jedes Jahr medial stattfindet. Unser Aushängeschild ist die Nationalmannschaft. Damit erreichen wir die höchsten Einschaltquoten beim Fernsehen. Der Handball lebt davon. Andererseits wäre vielleicht zu überlegen, ob wir auch in den Jahren der Olympischen Spiele ein Großturnier brauchen. Das große Übel ist allerdings der Spielplan mit Bundesliga, Pokal, Europapokal und Champions League. Mannschaften mit einem großen Kader können das kompensieren. Alle anderen gehen auf dem Zahnfleisch. Das kann so nicht weitergehen.

SPORT1-Experte Stefan KretzschmarZoom
SPORT1-Experte Stefan KretzschmarFoto: SPORT1

Handball.de: Sprechen wir abschließend über den SC DHfK Leipzig, wo Sie ehrenamtlich im Aufsichtsrat sitzen. Wie stehen die Chancen auf den Aufstieg in die Bundesliga?
Kretzschmar: Die Chance ist auf jeden Fall vorhanden. Wenn ich mir die 2. Liga angucke, gibt es meiner Meinung nach kaum Vereine, die sich langfristig in der Bundesliga etablieren könnten. Leipzig zählt mit der Stadt, der Infrastruktur, den finanziellen Möglichkeiten und der Handballbegeisterung zu den Ausnahmen. Ich bin davon überzeugt: In einem oder zwei Jahren finden wir den Weg in die Bundesliga und werden dort auch mithalten können. 

Handball.de: Also möglicherweise gelingt der Aufstieg bereits in der kommenden Saison? 
Kretzschmar: Das hoffe ich. Wir haben als Aufsteiger in der 2. Liga gleich vorne mitgespielt. Dass der erneute Aufstieg nicht direkt gelang, ist vielleicht sogar ein Vorteil. Die ökonomischen Möglichkeiten reichen nicht aus, um schon jetzt in der 1. Liga mitzuhalten. Wir haben nun ein weiteres Jahr Zeit, um uns im Umfeld auf solidere Füße zu stellen. Wir ziehen zum Beispiel in eine größere Halle und wollen bei der Zuschaueranzahl den nächsten Schritt machen. Sportlich sind wir ohnehin wettbewerbsfähig. Ob es für den Aufstieg reicht, muss man abwarten. 

Handball.de: Wir wünschen viel Erfolg und danken für das Gespräch.

Autor: Oliver Jensen
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