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Stefan Kretzschmar: In unserem Sport schießt Geld Tore (Teil 1 des Interviews)

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Stefan KretzschmarFoto: Eibner Pressefoto
14.07.2012 - 16:30 Uhr

Stefan Kretzschmar zählt zu den Aushängeschildern des deutschen Handballs. Vor fünf Jahren beendete der 39-Jährige seine aktive Laufbahn. Als SPORT1-Experte und Aufsichtsratmitglied des SC DHfK Leipzig ist er weiterhin nahe am Geschehen. Im ersten Teil des Handball.de Interviews spricht “Kretzsche” über die bevorstehende Bundesliga-Saison und die deutsche Nachwuchsförderung. 

Handball.de: Herr Kretzschmar, wird der Meisterschaftskampf in der kommenden Saison genauso langweilig wie letzte Saison? 
Kretzschmar: "Das hoffe ich nicht. Wenngleich ich davon ausgehe, dass der THW Kiel wieder Meister wird. Aber hoffentlich nicht wieder in dieser Dominanz und ohne Punktverlust. Mehr Spannung würde der Liga gut tun. Es gibt durchaus vier oder fünf Mannschaften, die die Kieler eventuell besiegen können und nicht in Ehrfurcht erstarren werden." 

Handball.de: Können die Abgänge, besonders der von Kim Andersson, den THW schwächen? 
Kretzschmar: "Kim wird der Mannschaft fehlen. Er war der überragende Spieler der letzten Saison. Auf seiner Position ist er sogar der beste der Welt. Aber Christian Zeitz hat bereits bewiesen, Andersson ersetzen zu können. Mit Marko Vujin haben Sie zudem jemanden geholt, der die Lücke ebenfalls schließen kann, sofern er in eine gute körperliche Verfassung gebracht wird. Der THW bleibt der Favorit Nummer 1 und hat drei der fünf besten Rückraumspieler der Welt im Kader." 

Handball.de: Flensburg-Handewitt, Füchse Berlin, HSV, Rhein-Neckar Löwen - wer ist der große Konkurrent? 
Kretzschmar: "Die Hamburger dürften von der letzten Saison die Schnauze voll haben. Die werden genauso motiviert sein wie die Kieler voriges Jahr, als ihnen die Meisterschaft vom HSV weggeschnappt wurde. Unter Martin Schwalb finden Sie bestimmt wieder in ihre Erfolgsspur. Das Team ist im Wesentlichen zusammengeblieben und fast identisch mit der Meistermannschaft - abgesehen von den Gille Brüdern. Berlin und Flensburg sind die beiden Teams, die sich am konstantesten weiterentwickelt haben. Sie können Kiel in Bedrängnis bringen." 

Handball.de: Und wie sieht es mit den Löwen aus? 
Kretzschmar: "Die Löwen haben früher ohne richtigen Plan wahllos eingekauft. Sie haben nicht darauf geachtet, wie sie ihre Mannschaft zusammenstellen. Dieses Jahr haben Sie eine junge und dynamische Truppe, die was bewegen kann und vor allem die Identifikation in der Region erzeugen kann. Das ist der Unterschied. Daher sind mir die Löwen nun sehr sympathisch. Aber niemand weiß, wie sie sich einspielen werden. Sie haben einen fast komplett neuen Rückraum." 

Stefan Kretzschmar im Gepräch mit Gudmundur Gudmundsson von den Rhein-Neckar...Zoom
Stefan Kretzschmar im Gepräch mit Gudmundur Gudmundsson von den Rhein-Neckar LöwenFoto: Eibner Pressefoto

Handball.de: In der Fußball Bundesliga kann der Tabellenletzte den Spritzenreiter schlagen. Warum ist die Handball Bundesliga nicht so ausgeglichen? 
Kretzschmar: "Niemand konnte den THW Kiel schlagen, das ist richtig. Ansonsten allerdings hatten zum Beispiel alle Mannschaften ein Problem, in Balingen zu spielen. Natürlich haben Aufsteiger wie TUSEM Essen und Neuhausen diese Saison wenig Chancen. Die genießen das Erlebnis Bundesliga und steigen direkt wieder ab. Das liegt einfach an der Qualität der Spieler. Im Fußball könnte man sich mit zehn Spielern hinten reinstellen und auf einen Konter hoffen. Das ist im Handball nicht möglich. Wer viel Geld in die Hand nimmt, starke Spieler verpflichtet, hat auch Erfolg. In unserem Sport schießt Geld Tore." 

Handball.de: Aber…? 
Kretzschmar: "...ich halte unsere Liga für ausgeglichener als die ausländischen Ligen. In Spanien braucht sich Barcelona und Ciudad Real nur auf zwei Spiele in der Saison zu konzentrieren. Den Rest gewinnen sie locker. In Kroatien, Frankreich und Ungarn ist die Situation ähnlich." 

Handball.de: Zurück zur Bundesliga: Neuhausen und Essen räumen Sie keine Chance ein. Wie sieht es mit dem dritten Aufsteiger GWD Minden aus? 
Kretzschmar: "Minden hat das Potential, die Liga zu halten. Eine schwierige Aufgabe ist es trotzdem. Viele Bundesligisten wie Hannover, Balingen und Großwallstadt haben sich etabliert, weisen einen stärkeren Kader und mehr Erfahrung auf. Die HSG Wetzlar dürfte ohnehin nichts mit dem Abstiegskampf zu tun haben." 

Handball.de: Braucht die Bundesliga eine Quotenregelung, damit mehr auf deutsche Talente gesetzt wird? 
Kretzschmar: "Ich halte das für nicht erforderlich. Viele Mannschaften, besonders aus dem unteren Drittel der Bundesliga, setzen bereits auf deutsche Nachwuchsspieler. In Kiel, Hamburg und Mannheim mag das anders sein. Es ist auch nicht deren Aufgabe, Talente für die Nationalmannschaft auszubilden. Habe ich als Manager einen gewissen finanziellen Rahmen, möchte ich die besten Spieler der Welt verpflichten, um erfolgreich zu sein. Ohnehin glaube ich, dass sich ein wirklich großes Talent überall durchsetzen würde." 

Handball.de: Alle Bundesligisten beschäftigen sich mit der Nachwuchsförderung. Können wir uns auf eine ähnliche Talent-Flut wie im deutschen Fußball freuen? 
Kretzschmar: "Es wäre uns zu wünschen. Wenngleich das auch von der Qualität der Trainer abhängt. Wir machen in Deutschland einen großen Fehler, indem wir den ganzen Fokus auf die Bundesliga legen. Die Ausbildung der Nachwuchstrainer wird vernachlässigt. Viele Trainer arbeiten im Jugendbereich ehrenamtlich. Das ist hoch anzuerkennen. Allerdings fehlt ihnen die Kompetenz." 

Handball.de: Also wird die Jugendarbeit weiterhin vernachlässigt?
Kretzschmar: "Sie wird stiefmütterlich behandelt. Alle Vereine wollen das Jugendzertifikat bekommen. Trotzdem arbeiten nur wenige richtig professionell. Magdeburg, Minden und Berlin zählen zu den positiven Ausnahmen. Um unsere Talente gut auszubilden, müsste das noch mehr forciert werden. Denn der Sprung von der A-Jugend in die Bundesliga ist riesig. Am Kreis und im Tor mache ich mir keine Sorgen. Wir haben dort immer gute Talente gehabt und werden diese auch zukünftig haben." 

Handball.de: Sie sehen die Probleme also im Rückraum? 
Kretzschmar: "Ja, dort muss man körperliche Voraussetzungen mitbringen, um in der Bundesliga zu bestehen. Der Sprung von der A-Jugend in die Bundesliga ist wesentlich schwerer, meist sogar unmöglich. Ich würde A-Jugendlichen raten, in die 2. oder sogar in die 3. Liga zu gehen, um regelmäßig zu spielen und sich an die Härte zu gewöhnen. Niemand sollte zu einem Top-Bundesligisten gehen, nur weil sich der Verein ein Talent erstmal sichern möchte." 

Der zweite Teil des Interviews mit Stefan Kretzschmar: "Unsere Nationalmannschaft geht nicht durch dick und dünn"

Autor: Oliver Jensen
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