Startseite » Interviews & Reportagen » Christian Schwarzer: “Unsere Nachwuchsförderung wird uns langfristig zugute kommen”

Christian Schwarzer: “Unsere Nachwuchsförderung wird uns langfristig zugute kommen”

DHB-Junioren-Bundestrainer Christian SchwarzerZoom
DHB-Junioren-Bundestrainer Christian SchwarzerFoto: Christian Schwarzer
19.06.2012 - 13:08 Uhr

Nach ihrer “gelungenen” WM-Qualifikation verabschieden sich die deutschen Nationalspieler in den Urlaub. Für die U-20 hingegen beginnt die heiße Phase. Vom 5. bis zum 16. Juli findet in der Türkei die Europameisterschaft statt. Die Gruppengegner sind Frankreich, Serbien und Slowenien. 

Handball.de-Mitarbeiter Oliver Jensen sprach mit Junioren-Bundestrainer Christian Schwarzer (42) über das bevorstehende Großturnier, die Gruppengegner und über die Nachwuchsarbeit in Deutschland. 

Herr Schwarzer, die deutsche Nationalmannschaft hat sich für die Weltmeisterschaft qualifiziert, allerdings im Rückspiel eine katastrophale Leistung abgeliefert. Wie fällt Ihr Fazit aus? 
Schwarzer:
 “Wichtig ist, dass man sich für die WM qualifiziert hat. Auch wir haben früher gelegentlich schlechte Leistungen abgeliefert. Daher sage ich: Man hat ein gutes Hinspiel gemacht, ist bei der WM dabei, abharken und fertig. Trotzdem muss die Mannschaft intern analysieren, was passiert ist.” 

Wieso hat Deutschland die stärkste Liga der Welt, allerdings nicht eine der besten Nationalmannschaften? 
Schwarzer: “In der Bundesliga spielen die besten Spieler der Welt. Besonders auf den Schlüsselpositionen sind kaum Deutsche zu finden. Aufgrund des Erfolgsdrucks werden starke Spieler aus dem Ausland verpflichtet. Sind das wirklich Topspieler, ist das auch in Ordnung. Ich verstehe allerdings nicht, warum sogar zwei- oder drittklassige Spieler aus dem Ausland gekauft werden, anstatt dem eigenen Nachwuchs eine Chance zu geben.” 

Erschwerend kommt hinzu, dass deutsche Topspieler wie Pascal Hens und Christian Sprenger aus der Nationalmannschaft zurückgetreten sind. Wie ist Ihre Meinung dazu? 
Schwarzer: “Das muss jeder für sich entscheiden. Auch ich bin einmal zurückgetreten, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Allerdings hatte ich damals einige Jahre mehr Nationalmannschaft auf dem Buckel. Für mich war es eine besondere Ehre, für Deutschland zu spielen. Es hat auch viel Spaß gemacht, gemeinsam Erfolge und Misserfolge zu durchleben. Allgemein ist es für mich schwer nachzuvollziehen, wenn Nationalspieler früh zurücktreten. Es sollte das Größte für einen Sportler sein, an Welt-, Europameisterschaften oder sogar Olympischen Spielen teilzunehmen” 

Vielleicht ist manchen Spielern der Druck zu groß, in der Liga und der Nationalmannschaft Topleistung abliefern zu müssen. 
Schwarzer: “Mit diesem Wort Druck tue ich mich schwer. Sport machen zu dürfen, vor tausenden Zuschauern sein Hobby auszuüben, ist kein Druck sondern Spaß. Druck ist vielmehr, wenn Menschen Angst um ihren Job haben müssen und die Existenz gefährdet ist.” 

Sprechen wir über Ihre aktuelle Aufgabe: Seit Oktober 2011 sind Sie Junioren-Bundestrainer, zuvor waren Sie bereits als Jugendkoordinator tätig. Warum reizt Sie die Nachwuchsarbeit besonders? 
Schwarzer: “Es macht viel Spaß, mit Jugendlichen zu arbeiten, die dorthin kommen möchten, wo ich einmal war. Ich kann mir keine schönere Aufgabe vorstellen.” 

Eine Tätigkeit als Trainer in der Bundesliga würde Sie nicht reizen? 
Schwarzer: “Momentan kann ich mir das nicht vorstellen.” 

Nun steht die U-20 Europameisterschaft bevor. Wie schätzen Sie die Chancen ihrer Mannschaft ein?
Schwarzer: “Wir haben eine sehr gute Mannschaft, die auch in der Breite gut aufgestellt ist. Wir wollen vorne mitmischen, möglichst um den Titel mitspielen. Viel wichtiger ist es allerdings, dass wir Spieler ausbilden, die irgendwann einmal den Sprung nach oben schaffen. Wir denken perspektivisch. Damit möchte ich die Bedeutung des Turniers allerdings nicht herunterspielen. Es geht auch darum, ein Sieger-Gen zu entwickeln. Das funktioniert bei solchen Turnieren besonders gut.” 

Wie stark sind unsere Gruppengegner Frankreich, Serbien und Slowenien?
Schwarzer: “Gegen Serbien haben wir bisher nicht gespielt. Frankreich und Slowenien sind international hoch einzuschätzen. Es ist toll, dass wir in einer starken Truppe gelandet sind. Nur so entwickeln sich unsere Jungs weiter. Wir brauchen keine Siege mit zehn Toren Vorsprung.” 

Wo liegen die Stärken von Frankreich und Slowenien? 
Schwarzer: “Fast alle U20-Spieler aus Slowenien und Frankreich sind in der ersten Liga ihres Landes aktiv. Manche haben sogar Erfahrungen im Europapokal oder der Champions League gesammelt. Solche Entwicklungsmöglichkeiten haben uns diese Nationen voraus. Bei uns sind Philipp Weber und Finn Lemke die einzigen beiden Spieler mit Bundesliga-Erfahrung. Der Rest muss über die 2. oder 3. Liga gehen.” 

Und wo liegen die Stärken des deutschen Nachwuchs? 
Schwarzer: “Durch unsere Internate und Leistungszentren sind unsere Jungs gut ausgebildet. Langfristig könnte es uns zugute kommen, dass sich alle Bundesligisten mit der Jugendförderung auseinandersetzen und verschiedene Kriterien zu erfüllen sind, um das Jugendzertifikat zu erhalten. Ich sehe uns auf einem guten Weg.” 

Der Spielerberater Björn Schultz sagte im Interview mit Handball.de, dass viele talentierte Spieler zu früh zu einem Topverein gehen und auf der Bank versauern. Wie ist Ihre Meinung dazu? 
Schwarzer: “Auch ich habe schon viele Talente gesehen, die von der Bildfläche verschwunden sind, weil sie bei ihrem Verein nicht genügend Spielpraxis bekamen. Dann wäre es tatsächlich besser, zum Beispiel ein Jahr in der 2. Liga zu bleiben und Spielpraxis zu sammeln. Möchte man unbedingt zu einem Topverein, wäre zumindest darauf zu achten, dass der Verein mit einem unterklassigen Verein kooperiert, wo sich mit dem Zweitspielrecht Spielpraxis sammeln lässt.” 

Letzte Frage: Sie sind im Jahre 1999 für zwei Jahre zum FC Barcelona gegangen. Würden Sie auch anderen deutschen Spielern den Schritt ins Ausland empfehlen? 
Schwarzer: “Auf jeden Fall. Ich kann einen Christian Dissinger, der in die Schweiz zu Schaffhausen gegangen ist, gut verstehen. Zu unserem Sport gehört auch Persönlichkeitsentwicklung. Es ist positiv, eine neue Sprache und neue Kultur kennenzulernen. Mir persönlich hat diese Erfahrung sehr gut getan.” 

Autor: Oliver Jensen
Diesen Beitrag im Forum diskutieren



Der Handball.de Vereinsrabatt

Zurück